Schon Loriot hat ja gewusst: wenn man was politisches sagen will, braucht man nur Atomstrom zu sagen und hat zumindest eine schöne Kontroverse angeleiert. Das gute da dran ist: man muss überhaupt keine Ahnung vom Thema haben, eine Meinung reicht völlig. Wenn es die richtige ist, wird man sofort zum Experten deklariert… und wenn man zufällig weiß über was geredet wird, hat man vollständig verloren.
Und genau deswegen werde ich heute mal in textueller Form das tun, was ich in diversen Diskussionen auch schon mündlich getan habe: nämlich mich unbeliebt machen. Das geht nämlich sehr einfach, wenn man an dieser Stelle als Techniker argumentiert 😉
Ich möchte unbedingt darauf hinweisen, dass dieser Beitrag entweder ganz oder gar nicht zu lesen ist – halb lesen führt dazu dass man einen völlig falschen Eindruck meines Standpunktes bekommt.
Das Totschlagargument seitens der überwiegend Grünen Anti-Atom-Beweung ist so einfach wie falsch: „Diese Technologie ist unbeherrschbar“. Ist sie aber – sogar recht einfach, wenn man weiß was man tut. Das Problem da dran ist allerdings auch das Kernproblem (Achtung, Wortwitz!) schlechthin: die Betreiberfirmen gehören meistens nicht in die Gruppe derer, die das tun. Denn eins ist klar: eine Firma will natürlich mit maximalem Gewinn arbeiten und optimiert ihre Prozesse. Nun ist ein AKW ein doch recht komplexes System – wenn man da an einer Stelle was verändert, kann das extreme Auswirkungen am anderen Ende haben. Genau dafür gibt es Zertifizierungssysteme seitens des Gesetzgebers, die dafür sorgen sollen, dass zumindest mal jemand drüber nachgedacht hat, was diese Folgen denn wohl sein werden. Diesen Prozess bitte mal merken – darauf werden wir später noch zu sprechen kommen.
Genauso irrsinnig ist das Argument der Atommafia in diesen Tagen, dass wir hier keine Tsunamis hätten, und deswegen alles sicher wäre. Es ist offensichtlich, dass hier völlig am Thema vorbeiargumentiert wird. Andererseits ist das durchaus eine angebrachte Antwort, wenn in unseren wie üblich völlig in Panik verfallenen Medien der Eindruck erweckt wird, dass sich durch diese Katastrophe irgendetwas geändert hätte.
Gleichzeitig ist es aber auch genau die falsche Antwort, denn sie lässt eine gewisse Unbekümmertheit erkennen, die definitv fehl am Platze ist. Denn genau das darf ein Sicherheitsingenieur nie sein. Egal wie unwahrscheinlich ein Ereignis ist: jedes AKW muss einen Test bestehen, in dem für jeden denkbaren Störfall modelliert wird, was passiert und wie man daraufhin agieren muss. Im amerikanischen ist das als der PAR (Probabilistic Risk Assessment)-Test bekannt und wesentlich strenger als bei uns. Dieser macht es möglich, jede Art von Fehlern zu erkennen (üblicherweise werden erst Ereignisse, die seltener als einmal alle 1010 Jahre passieren, abgeschnitten) und nicht nur das, was man professionnell DBA (Design Base Accident) nennt und gemeinhin als GAU kennt. Dies ist eben jener größte Unfall, den das System AKW noch ohne ernsthafte Probleme wegstecken kann. Wenn man also sagt, der GAU ist eingetreten, besteht kein Grund zur Sorge: genau dafür wurde das System ausgelegt! Man sollte allerdings schon versuchen, die Situation dann nicht noch schlimmer werden zu lassen, alles weitere nennt sich dann nämlich Super-GAU – „mehr als der größte Unfall den wir uns denken konnten“. Da will man dann eher nicht mehr in der näheren Umgebung sein.
Man sieht also das gleiche Problem wie überall: Kontrolle. Irgendjemand muss dafür sorgen, dass diese Tests regelmäßig und korrekt gemacht und nach aktuellem Wissensstand und konsequent ausgewertet werden und gegebenenfalls die nötigen Schlüsse gezogen werden. Das heißt auch, dass ein offensichtlich durfallendes AKW sofort abgeschaltet gehört! Das klappt für Kfz ganz ordentlich, da gibts den Tüv. Wer macht sowas bei Kernkraftwerken? Stellt sich raus, genau die gleichen. Viele AKWs in Deutschland fallen dabei in den Zuständigkeitsbereich des Tüv Süd, der eine ganz besondere Vorstellung von optimaler Prüfung hat: zwei Drittel der Tüv-Süd AG gehören Eon, Vattenfall und EnBW. Wer auch immer das genehmigt hat, weiß offenbar nicht was er/sie tut.
Bezeichnend auch, dass nach den Richtlinen des finnischen Staates, der momentan sehr starke Investitionen tätigt und mehr als 30 neue Kraftwerke bauen will kein einziges Deutsches Kraftwerk mehr am Netz sein dürfte. Kein Wunder, wenn man sich selbst kontrolliert kann jeder Mist vollkommen „in Ordnung“ sein.
Was lernen wir also daraus?
Atomstrom ist technisch und technologisch kein Problem, aber es ist keine gute Idee, die Betreibergesellschaft und zuständigen Kontrollinstanzen in private Hände zu geben. Überhaupt ist nur durch strikteste Kontrollen ein wirklich sicherer Betrieb möglich, die aktuell, häufig, streng und folgenreich sein müssen. Unsichere Systeme dürfen nicht (und erst nach kompletter Nachprüfung wieder) betrieben werden. Es kann immerhin nicht sein, dass mein kleiner PKW strenger kontrolliert wird als ein AKW. Was ich damit maximal anrichten kann liegt doch knapp unter den denkbaren Opferzahlen in einem dicht besiedelten Land.
Was jetzt zu tun ist, ist also eine vollständige Evaluierung aller aktiven Anlagen nach aktuellen Sicherheitsstandards. Nicht nach denen von vor 30 Jahren, wie es in Deutschland durchaus üblich ist. Das geht nicht in 3 Monaten! Schon theoretisch nicht, so viele qualifizierte Experten haben wir gar nicht! Jetzt zu sagen, wir fahren die Dinger mal runter, gucken kurz drauf und wenn alle noch da sind fahren wir wieder hoch ist nicht nur kreuzgefährlich durch den Eindruck, dass eine Prüfung stattgefunden hätte, sondern es bringt eine Technologie in Verruf, die wir so schnell nicht loswerden können (dazu wird es später einen separaten Artikel geben).
Bleibt ein Problem: was macht man mit dem Abfall? Sprich, Endlager oder nicht? Auch das ist ein technisch gelöstes Problem (gut, okay, nachdem Jahrelang keiner was geforscht hat werden in Frankreich jetzt erst erste Versuchsanlagen gebaut). Jedenfalls ist die Idee hinter Transmutationsanlagen eigentlich ganz einfach: man spaltet so lange, bis was stabiles entsteht. Das hat sogar den Vorteil, dass man mehrfach Energie abgreifen kann und am Ende keinerlei problematische Abfälle hat.
Nochmal zum mitmeißeln: strengere Kontrollen, abschalten nicht bestehender Reaktoren, retrofitting und gegebenenfalls Neubau von Kapazität nach aktuellem Wissen. So und nicht anders würde vernünftige Atompolitik aussehen. Nicht nur jetzt, sondern immer schon.
Ich bin ja damals auch deswegen mit viel Hoffnung zur Piratenpartei gekommen, weil sie im gegensatz zu den „Grünen“ noch keinen dogmatischen Standpunkt zur Atomfrage hat und echte Diskussion stattfindet. Gerade in den letzten Tagen sind aber viele in ein „Jetzt müssen wir entschlossenheit demonstrieren“ verfallen, dass mich durchaus am Geisteszustand einiger zweifeln lässt. Irgendwo stand mal, wir wollten Politik auf Faktenbasis machen. Gilt das noch?
So, und jetzt die Zusammenfassung für die Leute, die jetzt der Meinung sind, da ich Anti-Atom-Ausstieg bin, wäre ich Industrieapologet: was ich hier vorschlage, würde so ziemlich alle aktuell stehenden Reaktoren zumindest für einige Jahre vom Netz bringen und ungefähr genausoviel Geld kosten wie der Ausbau des Stromnetzes so, dass dezentrale erneuerbare Energiegewinnung möglich wäre.